Pünktlich um 9.00 Uhr anwesend zu sein, fällt mir schwer. Doch zu meiner eigenen Überraschung gelang es mir hier in Tokio recht gut. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich wirklich schlecht abschneiden würde, wenn ich nicht dort wäre. Der Konferenzraum im Keio Plaza Hotel war genau so eingerichtet, wie in meinen Angstträumen. Inklusive Namensschild. Die Sitzung verlief strikt und formell, jedoch mit einem gewissen Twist. Alle Teilnehmer, sowohl auf japanischer als auch auf unserer Seite, waren nun als Redner und Gegendemonstranten anwesend und hatten sich bereits in einer gänzlich anderen Umgebung begegnet. Immerhin hatten wir uns am Vorabend im Hotel getroffen. Morgenabend möchte man gemeinsam das EM-Fußballspiel ansehen.
Das formelle Beisammensein vermittelte daher einen inszenierten Eindruck. Aber nicht ohne Ergebnis. Wir wurden auf beiden Seiten gezwungen, über den Grund unseres Kommens nachzudenken. Und darüber, in welchen Punkten wir in den nächsten Tagen unsere Gedanken schweifen lassen sollten. Diese Formalität erhielt sofort mehr Tiefe. Bereit zum Start? Los!
Die Metropolregierung Tokio hat uns nach Japan eingeladen, daher sollten Sie auch deren Büro in Shinjuku besuchen. Es ist kein unbedeutendes Gebäude. Am ehesten könnte man es mit den früheren Twin Towers vergleichen, die am Fuße eines riesigen Platzes mit demselben Steinmuster stehen. Ein kolossales graues Gebäude, aber mit Eleganz.
Der Architekt ist der berühmte Kenzo, der sein Zwillingsprojekt etwas weiter auch in Form des Park Hyatt realisieren durfte.
In der 53. Etage haben Sie einen faszinierenden Blick über das Viertel Shinjuku. An Tagen, an denen es wolkenlos ist. Trotz der grauen Wolkenmasse fühlte ich mich klein. Sehr klein. Und die Menschheit groß. Der Mensch schafft diese Landschaft. Bis zum Horizont sind es die Kreationen des menschlichen Geistes.
Tokio entwickelt sich weiter und greift gleichzeitig auf seine eigene Baukunst zurück. Alte Ideen werden in modernem Metall, Glas und Stein verarbeitet. Es ist ein Genuss, die japanischen Gedankenspiele in großem Maßstab zu sehen. Es scheint mir alles so perfekt, aber ich kann gleichzeitig nicht glauben, dass niemand irgendwo einen Fehler gemacht hat. Das ist schließlich auch das menschliche Gehirn. Die Unvollkommenheit. Oder existiert die in Japan nicht? Ich glaube, dass ich diese Woche nach den Fehlern suchen werde, die sie gemacht haben. Bis jetzt habe ich noch nichts gefunden, aber die Überzeugung, dass es nicht anders sein kann, treibt mich voran.
Wenn man vor einem solchen Gebäude steht, fühlt man sich plötzlich sehr klein. Und das finde ich schön. Schön, weil ich die Unbedeutendheit meiner selbst erlebe. Die Tatsache, dass ich tatsächlich nicht von Bedeutung bin. Das macht das Leben für einen Moment im Vergleich relativ. Eine kleine Ameise, die für sich allein nicht von Bedeutung ist. Aber unaufhaltsam nach diesem Moment realisiere ich, dass genau diese eine Ameise unentbehrlich ist, um den Ameisenhaufen zu bilden. All diese Ameisen sind in der Lage, etwas Größeres als sich selbst zu erschaffen. So groß, dass man den Weg verliert.
Ich kann wirklich nicht klagen über das Keio Plaza Hotel. Ein Luxushotel, einfach und geschmackvoll, aber immerhin mit einer Aurora Lounge in der 43. Etage, von wo aus man einen schönen Blick über die Stadt hat! Doch es hat überhaupt nicht den Charme, den das Park Hyatt Hotel bietet. Darauf habe ich mich schon seit Wochen gefreut. Ich habe sogar ein wenig davon geträumt.
Um einfach an dieser Pianobar zu sitzen, wo Bill Murray völlig erschöpft von den unverständlichen Japanern versucht, seine Jetlag mit einem Whisky zu vertreiben, während die Wäscheklammern noch an seinem Jackett hängen. Für mich ist das eine der unvergesslichen Szenen aus Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“. Ich durfte frei im Park Hyatt umherstreifen, wo der Film von Coppola größtenteils gedreht wurde. Und tatsächlich, die Führung führte uns zur Pianobar, die kleiner war, als ich sie mir vorgestellt hatte, aber durch die großen Fenster einen atemberaubenden Blick über Tokio bietet. Vorbei an der Bibliothek mit waldgrüner Seidenverkleidung zu den Suiten mit Jacuzzi, Küche, eigenem Koch und Kunstwerken an den Wänden und auf den Tischen. Wo die gesamte Einrichtung aufeinander abgestimmt ist. Sogar die Flaschen in der Kühlung sind auf das Interieur abgestimmt. Und zahlreiche Kunstgegenstände ebenso. Die bronzenen Hundeköpfe und Schweinsköpfe im Aufzug waren tatsächlich die gleichen, die Bill Murray anstarrte, als er zusammen mit einer Gruppe Japaner im Aufzug stand und über deren Köpfen hinausragte. Ich zwinkerte dem Hund zu. Wir verstehen uns. Das nächste Mal übernachte ich eine Nacht im Park Hyatt, da bin ich mir sicher.
Das traditionelle Sadachi Ryokan duftet wunderbar nach neuen Tatami-Matten. Es riecht nach dem jungen Frühling, in dem kleine sanftgelbe Schmetterlinge über eine frische grüne Wiese mit noch etwas feuchtem Boden flattern.
Sie müssen es einfach riechen, um so sehr nach der Nacht hier zu verlangen.
Elf Personen in einem Zimmer mit 11 Matten, die jeweils eine Größe von 90 mal 180 cm haben, scheint mir nicht die glücklichste Idee, aber ein Tatami-Zimmer für zwei ist für mich ideal.
Ein Tatami, was so viel bedeutet wie gefaltet und gestapelt, war in der frühen Shogun-Zeit genau die Fläche, die benötigt wurde, um die Besitztümer eines Samurai-Kriegers auszubreiten und darauf zu schlafen.
Das Tatami-Zimmer ist hier ebenfalls mit einer japanischen Nische (Tokonoma) ausgestattet, in der immer eine Rollbildmalerei oder ein Ikebana (Blumenschmuck) ausgestellt ist. Traditionell wechseln diese Kunstwerke mit den Jahreszeiten, aber Mama-san flüsterte leise, dass sie diese nicht mehr wechselte. Ich werde aus meinem Traum wach.
Ich weiß, wie komfortabel die Futons sind, die abends über die Tatami ausgerollt werden. Ich habe selbst vor einigen Jahren eine Woche in Kyoto darauf geschlafen. Nur manchmal fehlte mir ein Stuhl. Aber dann sucht man sich ein Restaurant oder eine Bar außerhalb.
Das gemeinsame hölzerne japanische Bad in dieser Ryokan ist ein Augenschmaus und wahrscheinlich auch eine Wohltat für Seele und Körper. Zuerst schrubben auf einem hölzernen Hocker, abspülen mit kleinen Wasserschalen und dann lässt man sich in das Holzbad mit sehr heißem Wasser sinken. Handtuch auf dem Kopf.
Es war totenstill in Starbucks. Ich wage zu wetten, dass kein Mensch da war. Ich wurde dennoch hastig bedient, als stünde eine ganze Schlange hinter mir. Dabei stand das Café nicht kurz vor dem Schließen. Es war einfach überfüllt. Und man konnte eine Stecknadel fallen hören. Lag es daran, dass zwei Gaijins hereinkamen? Nein, niemand schaute auf oder um. Alle Kunden waren beschäftigt. Beschäftigt damit, an ihren Laptops zu tippen. Beschäftigt damit, in ihren Tablets mit Dutzenden von fluoreszierenden Post-its zu blättern. Beschäftigt mit dem Tippen von SMS auf ihren dünnen, ausziehbaren Handys. Beschäftigt mit einem Mittagsschläfchen. Dieser Mittagsschlaf wurde von drei Schülerinnen in plissierten Schulröcken genossen, die ihre Köpfe auf leeren Frappe-Bechern und Servietten von den Nusskeksen lagen.
Totenstille und gleichzeitig beschäftigt.
Es liegt so köstlich auf meiner Zunge, dass ich es hundertmal am Tag sagen könnte. Mono no aware; Mitgefühl für kleine Dinge. Es hat immer einen Hauch von Traurigkeit. Etwas Kleines ist so schön, dass es weh tut, weil ich weiß, dass ich es nicht festhalten kann, dass es wieder verschwinden muss. Das macht die Kirschblüten so schmerzhaft schön.
Mein Blick wurde von dem Korb mit den japanischen Hors d’œuvres gefangen genommen. In einem Teehus, das auch ein Restaurant im Ueno Park ist. Um es noch schmerzhafter zu machen, liegt es gegenüber dem berühmten Picknickplatz unter den von Kirschblüten schweren Bäumen im Frühling. So perfekt in Farbe, Komposition und Textur. Und es war an mir, es zu essen. Wird es dadurch besser? Es tut weh und gibt gleichzeitig Freude. Die stark wechselnden Geschmäcker in meinem Mund versuche ich so lange wie möglich festzuhalten. Einige Sekunden reinen Glücks!
Juni 2008 Christel van Bree
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